Im wienerischen Sprachschatz gibt es unzählige Metaphern für das Sterben. Eine davon lautet, „sich den Holzpyjama anziehen“. Auch wenn der griechischen Sagengestalt Eurydike vermutlich eher das Leinen an den kalten Körper gebunden wurde, könnte die ehemalige Liesinger Sargfabrik als Ort für einen Ausflug in das Totenreich in assoziativer Hinsicht wohl kaum besser gewählt sein. Ebendort wechseln die drei Schauspielerinnen im Zuge der Inszenierung von Elfriede Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“ Kleider und Subjektzuschreibungen fließend, während sie sich gekonnt durch den (Un-)Bewusstseinsstrom manövrieren. Visuelle Unterstützung erhalten sie – abgesehen von den diversen als „Ich-Haut“ übergestreiften Klamotten – wenig. Das Bühnenbild ist minimalistisch, die Kulisse der Fabrikshalle letztlich aussagekräftig genug. Zu der optischen Kühle des Raumes gesellen sich vorwinterliche Temperaturen. Dehalb sollte Frau lieber auf leichtes elegantes Schuhwerk verzichten. Zudem ist die Anzahl der Sitzhocker beschränkt. Besucher dürfen oder sollen sogar im Raum frei umhergehen. Visuelle Abwechslung gibt es im Gegensatz zu manchem Stationentheater recht wenig.
Im Mittelpunkt der Inszenierung von Sabine Mitterecker steht daher – und das liegt vermutlich ganz im Sinn Jelineks – das gesprochene Wort, die Stimmen der Schauspieler, die unter der Klangregie von Wolfgang Musil aussagekräftig den Raum erfüllen. Am Beginn knallt eine Eisentüre. Später watet Christina Scherrer als die rockigste Version Eurydikes durch den Styx – eine mit Wasser gefüllte rillenförmige Vertiefung im Boden. Die E-Gitarre hat sie mittlerweile abgelegt. In ihrem Spiel wird die Rolle des geliebten Sängers Orfeus gleich mit abgehandelt.
Auf den Sockel gehoben, in die Unterwelt abgestiegen
Orfeus, der wohl erste Popstar der westlichen Kulturgeschichte, will die Geliebte aus dem Reich des Hades retten. Doch bedarf Eurydike dieser Rettung wirklich? Wie die kreischenden „Mädchenzusammenrottungen“ im Orfeuschen Fan-Publikum von Jelinek zu schwitzenden und vom Schreien entstellten Gesichtern mit offengelegten Genitalien zum Objekt heruntergebrochen werden, so ist auch die Stimme Eurydikes in der des Sängers verhallt. Als Objekt seiner Begierde ist sie subjektlos in die Geschichte eingegangen. „Mir fehlt mein ganzes Leben, aber er ist der Beraubte“, heißt es an einer Stelle im für die Schriftstellerin typischen Galgenhumor. Eurydike selbst scheint sich in der Schattenwelt wohl zu fühlen. Von dem ihr zugedachten Sockel ist sie endlich herabgestiegen, die Fesseln scheinen gelöst. Die Besucher erwartet – abgesehen von einer gewissen Langatmigkeit gegen Ende des Stückes – ein von spielerischer Leichtigkeit durchzogener Abend. Es ist eine Freude, Jelinek so inszeniert zu sehen. Gegen die kalten Füße gibt es vor und nach der Vorstellung Glühwein.
SCHATTEN (Eurydike sagt)
von Elfriede Jelinek
mit Sarah Sanders, Christina Scherrer und Alexandra Sommerfeld
F23.wir.fabriken
Breitenfurter Strasse 176, 1230 Wien
20/23. und 25. Oktober, 3. und 5. November 19.30 Uhr
Abendkasse jeweils ab 18.30
Karten: 16 bis 27 Euro
http://www.theaterpunkt.com/jelinek-f23/
© Fotos: 3007wien*
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